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(K)ein Sommer wie damals – Flugausfälle und Verspätungen aus rechtlicher Sicht

Steffen Eichner - stock.adobe.com
Flugausfälle und Verspätungen sorgen nicht nur für Frust, sondern auch für rechtliche Konsequenzen.
Flugausfälle und Verspätungen sorgen nicht nur für Frust, sondern auch für rechtliche Konsequenzen.

Die Coronapandemie hat ihre Spuren in der Flugbranche hinterlassen. Es herrscht ein Personalmangel, der seinesgleichen sucht und Flugausfälle und Verspätungen offenbar alternativlos werden lässt. Damit einhergehende (Fluggast-)Rechte werden nicht immer klar kommuniziert. Reiserechtexperte Dr. Sebastian Löw erklärt die Zusammenhänge.

Seit Wochen beherrschen die Zustände auf den internationalen Flughäfen die Medien, aktuell sorgt der Streik des Lufthansa-Bodenpersonals für Chaos. Die Rechte des Reisenden bei Flugausfällen und Verspätungen sind in der europäischen Fluggastrechte-VO geregelt. Diese gelangt zur Anwendung, wenn sich der Abflughafen oder – wenn eine Fluggesellschaft mit Sitz in der EU den Flug ausführt – der Zielflughafen in der EU befindet. Wurden im Rahmen einer einheitlichen Buchung hintereinandergeschaltete Teilflüge erworben, ist die Fluggastrechte-VO nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch auf Anschlussflüge anwendbar, die vollständig außerhalb der EU durchgeführt werden, sofern der ursprüngliche Abflugort in der EU liegt (so etwa bei einem Flug von Wien nach Agadir mit Zwischenstopp in Casablanca).

Rechte bei Annullierung und Verspätung

Während der Tatbestand der Verspätung keine Auslegungsprobleme bereitet, gestaltet sich das Vorliegen einer Annullierung komplexer. Eine Annullierung liegt definitionsgemäß vor, wenn ein geplanter Flug, für den zumindest ein Platz reserviert war, nicht durchgeführt (umgangssprachlich "gestrichen") wird. Vor Kurzem entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) allerdings, dass ein Flug auch dann als annulliert zu werten ist, wenn er um mehr als eine Stunde vorverlegt wird, weil eine Flugvorverlegung für den Reisenden besondere Unannehmlichkeiten bedeuten kann. Kehrt eine gestartete Maschine wieder zum Ausgangsflughafen zurück (z. B. aufgrund eines technischen Problems) ist der Flug ebenfalls als annulliert zu werten.

Pauschale Ausgleichsleistung für gestrichenen oder verspäteten Flug

Die Fluggastrechte-VO sieht drei unterschiedliche Abhilfeleistungen vor, die dem Reisenden bei Verspätungen und Flugausfällen zustehen können. Das bekannteste Fluggastrecht ist der Ausgleichsanspruch. Dieser dient zur pauschalen monetären Kompensation der Unannehmlichkeiten, die dem Reisenden durch die Flugstreichung oder Verspätung entstanden sind. Weil dieser Anspruch keinen konkreten Schaden des Reisenden voraussetzt, sind die Anforderungen an sein Bestehen besonders hoch.

Bei Annullierung besteht daher nach Art 5 Abs 1 lit c i – iii Fluggastrechte-VO kein Anspruch auf eine Ausgleichsleistung, wenn 

  • die Fluggesellschaft den Flugausfall mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit bekannt gibt (i), 
  • die Fluggesellschaft den Flugausfall zwar erst in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit bekannt gibt, dem Reisenden aber zugleich ein Angebot zur anderweitigen Beförderung unterbreitet, das es ihm ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und das Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen (ii), oder
  • die Fluggesellschaft den Flugausfall weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit bekannt gibt, dem Reisenden aber zugleich ein Angebot zur anderweitigen Beförderung unterbreitet, das es ihm ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und das Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.
Umso kurzfristiger eine Annullierung somit von der Fluggesellschaft bekannt gegeben wird, desto höher sind die Anforderungen für den Entfall des Ausgleichsanspruchs. Die Information über die Annullierung muss dem jeweiligen Fluggast zielgerichtet (etwa per Mail oder SMS) bekannt gegeben werden. Informationen, die für die Allgemeinheit zum Abruf auf der Homepage der Fluggesellschaft zur Verfügung stehen, stellen daher ebenso wenig eine ordnungsgemäße Bekanntgabe dar wie die Mitteilung an einen Dritten, der für den Reisenden den Flug gebucht hat (z. B. ein Reiseveranstalter oder -vermittler).

Bei Flugverspätungen besteht der Ausgleichsanspruch nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ab einer Ankunftsverspätung von mindesten drei Stunden. Angekommen ist das Flugzeug jedoch nicht bereits durch das Aufsetzen auf der Landebahn („touchdown“), sondern erst mit dem Öffnen der Flugzeugtüren.

Die Höhe des Ausgleichsanspruch ist in Art 7 Abs 1 Fluggastrechte-VO gestaffelt festgelegt und beträgt:

  • 250 Euro bei allen Flügen über eine Entfernung von maximal 1.500 Kilometern,
  • 400 Euro bei allen Flügen innerhalb der EU über eine Entfernung von mehr als 1.500 Kilometern und bei allen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 Kilometern und
  • 600 Euro bei allen sonstigen Flügen.

Außergewöhnliche Umstände lassen Ausgleichsanspruch entfallen

Sind „außergewöhnliche Umstände“ Ursache für die Annullierung oder Verspätung, kann sich die Fluggesellschaft der Zahlung des Ausgleichsanspruchs entziehen. Das Vorliegen solcher Umstände ist von der Fluggesellschaft zu beweisen und wird von den Gerichten nur zurückhaltend gebilligt. Als mögliche außergewöhnliche Umstände wurden von den Gerichten beispielsweise Vogelschlag, gewalttätiges Verhalten eines Passagiers, starker Belastung des Luftraums oder widrige Wetterbedingungen in Form von schweren Gewitter, Blitzschlag oder Nebel angesehen. Nicht als außergewöhnlicher Umstände gewertet wurden dagegen etwa technische Probleme am Flugzeug, der Ausfall eines Bodenabfertigungsdienstes wie etwa der Betankungs- oder Gepäcksortierungsanlage sowie Probleme beim Check-In-Schalter der Fluggesellschaft.

Differenzierter hat die Betrachtung bei Streikmaßnahmen und Massenerkrankungen (etwa aufgrund von COVID-19-Infektionen und damit verbundenen Quarantänemaßnahmen) zu erfolgen. Hier ist zu unterscheiden, wessen Mitarbeiter betroffen sind: Personalmangel bei der Fluggesellschaft (also bei der Crew oder dem Bodenpersonal) fällt grundsätzlich in die betriebliche Sphäre der Fluggesellschaft und ist daher nach herrschender Ansicht kein außergewöhnlicher Umstand, der zum Entfall des Ausgleichsanspruchs führt. Besteht der Personalmangel dagegen auf dritter Seite, wie etwa bei den Fluglotsen oder dem Personal der Sicherheitskontrolle, ist dieser Umstand von der Fluggesellschaft nicht kontrollierbar und somit außergewöhnlich.

Weitere Fluggastrechte 

Unabhängig von der Ursache für die Annullierung oder Verspätung sehen Artikel 8 und 9 Fluggastrechte-VO weitere (zusätzliche) Ansprüche des Reisenden vor. So kann nach Artikel 8 Fluggastrechte-VO bei Annullierung oder Abflugverspätung von mindestens fünf Stunden wahlweise eine vollständige Erstattung der Ticketkosten, einen Rückflug zum ersten Abflugort oder – bei Annullierung – eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen verlangt werden. Bei der Erstattung der Ticketkosten gilt es allerdings zu beachten, dass der Reisende diese nicht von der Fluggesellschaft verlangen kann, wenn der Flug Teil einer Flugpauschalreise war und daher ein Ersatzanspruch gegen den Reiseveranstalter besteht (Artikel 8 Absatz 2 Fluggastrechte-VO).

Alle anderen Rechte nach Art 8 Fluggastrechte-VO, somit etwa ein Ersatzflug, stehen dem Reisenden jedoch auch bei einer Pauschalreise gegenüber der Fluggesellschaft zu. Ein "gestrandeter" Fluggast hat außerdem Anspruch auf Betreuungsleistungen nach Artikel 9 Fluggastrechte-VO. Diese können im Einzelfall aus Mahlzeiten und Erfrischungen, einer Hotelunterbringung samt Beförderung zwischen Flughafen und Hotel sowie zwei Kommunikationsmöglichkeiten bestehen. 

Anspruchsgegner des Reisenden

Zu richten sind Ansprüche nach der Fluggastrechte-VO gegen die ausführende Fluggesellschaft. Es ist somit nicht jene Fluggesellschaft Schuldnerin der Fluggastrechte, die Vertragspartnerin des Reisenden ist, sondern ausschließlich jene, die den betreffenden Flug durchführt oder durchführen hätte sollen. Anspruchsberechtigt ist der Fluggast; ob er die Buchung selbst oder über Dritte (bspw. einen Reiseveranstalter oder -vermittler) vorgenommen hat, spielt dabei keine Rolle. Treten fluggastrechtlich relevante Leistungsstörungen aber im Rahmen einer Pauschalreise auf, sieht § 12 Absatz 5 Pauschalreisegesetz zur Vermeidung einer Überkompensation des Reisenden vor, dass Ausgleichszahlungen des ausführenden Luftfahrtunternehmens auf vertragliche Ersatzansprüche gegen den Reiseveranstalter anzurechnen sind und umgekehrt!

Der Reiseveranstalter kann daher im Regelfall den von der Fluggesellschaft geleisteten Ausgleichsanspruch gegenüber Reisepreisminderungs- und Schadenersatzansprüchen des Reisenden zum Abzug bringen. Entstehen dem Reiseveranstalter weitere Kosten durch die Annullierung oder Verspätung, kann er sich nach Maßgabe des allgemeinen Schadenersatzrechtes an der Fluggesellschaft schadlos halten. 


Der Autor

Dr. Sebastian Löw ist Rechtsanwaltsanwärter bei DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien und auf Reiserecht spezialisiert. Der 26-jährige Jurist studierte an der Universität Innsbruck und Wirtschaftsuniversität Wien Wirtschaftsrecht, das Doktoratsstudium Rechtswissenschaften absolvierte er in Innsbruck.

sebastian.loew@dorda.at

Dr. Sebastian Löw: "Umso kurzfristiger eine Annullierung somit von der Fluggesellschaft bekannt gegeben wird, desto höher sind die Anforderungen für den Entfall des Ausgleichsanspruchs."
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Dr. Sebastian Löw: "Umso kurzfristiger eine Annullierung somit von der Fluggesellschaft bekannt gegeben wird, desto höher sind die Anforderungen für den Entfall des Ausgleichsanspruchs."
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