„Was ich vermeiden möchte, ist, dass man den neuen ‚Linz ist Linz‘-Werbefilm in die Ecke eines aktionsorientierten Touristikers stellt, dem halt schnell etwas eingefallen ist“, sagt Tourismusdirektor Georg Steiner. Was er noch über die Kampagne, die in aller Munde ist, zu sagen hat, verrät er in einem intensiven Interview.
„Der Tourismus bildet viel zu oft Kulissen ab und tut sich schwer, die Destination über Menschen zu erzählen.“
Wenn auch „humorvoll“, hält man dennoch den Zeigefinger in alte „Image-Wunden“. War man sich bewusst, dass das nicht allen gefallen wird?
Ja, das war uns durchaus bewusst, der Film braucht auch Reibung. Die Entwicklung von Linz zu einer Kulturstadt ist eine sehr gute und ist mit Ars Electronica, Musiktheater, unzähligen Festivals uvm. ganz und gar nicht substanzlos. Nur, wie schwer es ein Underdog hat, mit anderen auf Augenhöhe zu kommen, zeigt sich halt auch am Beispiel von Linz. Denn unser Fokus liegt mehrheitlich auf jenen Menschen, die die Ursprungsidee des Reisens noch pflegen. Dass man, wenn man reist, Neues kennenlernen möchte und sich auch bewusst auf Unbekanntes einlässt.
Linz ist eben anders, als die anderen …
Authentizität, von der ja gerade wieder laut geredet wird, ist halt schnell dahingesagt und beim Reisen überhaupt in Vergessenheit geraten. Nehmen wir nur die Fluss-Kreuzfahrten, da wird die Donau fast nur über Kitsch- und Klischeebilder verkauft und der Fluss auf Hofburg, Lipizzaner und die gängigen Klischees reduziert. Wobei, in Wien ist es schon differenzierter, Norbert Kettner (Anm.: Direktor WienTourismus) versucht wirklich mit aller Kraft, Wien breiter darzustellen. Ich glaube, dass im Sinne von Smart Tourism und von besserer Verteilung des Tourismus hidden places und second cities – Linz ebenso wie Krems gehören für mich dazu – jene sind, die hier große Chancen haben. Was „Linz ist Linz“, wie die starke Resonanz beweist, gerade zeigt.
„Authentizität, von der ja gerade wieder laut geredet wird, ist halt schnell dahingesagt und beim Reisen überhaupt in Vergessenheit geraten.“
Ist Ihr Anspruch, Linz touristisch intellektueller zu machen?
Ich bin jetzt nicht unbescheiden und denke schon, dass ich ein Intellektueller in der Branche bin. Das ist, denke ich, keine Selbstüberschätzung, was auch an meinen vielen Beiträgen auf Social Media ersichtlich ist. Was beweist, dass der Werbefilm eben kein Schnellschuss, sondern in einer klaren Strategie eingebunden ist. Nur zeigt sich damit auch, wie viele Menschen sich noch nicht mit Linz beschäftigt haben, insofern ist das Werbevideo auch ein wenig der Opus magnum meines touristischen Lebens. Ich bin ja schon eher am Ende der Berufszykluskurve (Anm.: Frühjahr 2023), vielleicht kann man sich erst da derartiges trauen.
Dabei war ich eher derjenige, der die Mitarbeiter – durchwegs junge Frauen, die ihre große Freude an der Entwicklung dieser Geschichte hatten, man musste niemanden hineindrängen – ein wenig gebremst hat. Auch, weil ich wusste, dass ich den Kopf hinhalten muss. Ich bin zudem nicht unfroh, einen Aufsichtsrat zu habe, der grundsätzlich ein Tourismuskonzept beschließt. Und dieses Video steht sehr genau darin beschrieben. Das übrigens jeder auf unserer Website unter Tourismuskonzept 2021, Seite 24, downloaden kann.
Der Aufsichtsrat hat das Werbevideo also für gut befunden und abgenickt?
Natürlich war der Aufsichtsrat informiert. Er hat das Video vorab gesehen, es mit den Worten „Puh, das ist mutig, aber wenn Du meinst, dann mach es“, kommentiert, jedoch nicht beschlossen. Weil es eine operative Entscheidung des Geschäftsführers, also von mir, ist.
Der Underdog schießt mit mehr als 300.000 Klicks auf YouTube gerade durch die Decke. Übung demnach gelungen?
Es sind bereits weit über 700.000 Zugriffe, wir bespielen ja neben YouTube auch Facebook, Instagram und unser eigenes Portal. Wir hatten bereits vor zwei Jahren mit Forafilm ein Video produziert. Das hatte auch um die 500.000 Aufrufe, nur hat es nicht „gerieben“, was an elf Likes, davon zwei negativen, zu sehen war. Jetzt sind von den 300.000 Aufrufen fast 7.000 positiv und 600 negativ – das zeigt klar die Relation. Und was die Kommentare und Mails betrifft, zeigt sich mit 9:1 ein ebenfalls klar positives Verhältnis.
Georg Steiner ist in Linz kein Unbekannter, werden Sie auf der Straße auf „Linz ist Linz“ angesprochen?
Zwei Begegnungen von vielen: Ein älterer Herr spricht mich in einem Café mit den Worten an, ob ich der Tourismusdirektor bin und ich mich schämen soll. Im gleichen Café sagt ein anderer Mann zu mir, dass ich mich ja nicht unterkriegen lassen soll. Der hat mir, mit herber Kritik für seine politischen Freunde, seine größte Freude und Anerkennung ausgesprochen. Jetzt, nach zwei Wochen nach dem Ausrollen und dem ersten Schock, beginnen die Bastionen langsam fallen.
Heißt, der Vorwurf, auch seitens der indignierten Landespolitik, dass Linz auf etwas reduziert wird, was nicht stimmt, wird leiser?
Das Video ist eigentlich eine Liebeserklärung an Linz, denn auch das „Linz ist ein bisserl rassistisch“ wird von dem Burschen im Video sehr sympathisch gesagt. Und zu sagen, das gäbe es hier wie auch in anderen Städten nicht, wäre nicht korrekt. Mit dem Unterschied, dass bis dato noch niemand diese Alltagswahrnehmungen von einem Taxifahrer, Blumenverkäufer, Straßenmusiker in ein System einer Kommunikation gebracht hat. Die Menschen im Film sind ja alle real und bekommen nun auch alle ihre eigenen Postkarten mit einer ganzen Reihe an Sujets. Wir werden diese „Menschen“ künftig noch stärker in Begegnungsformate einbinden, weil eben die Menschen dieser Strategie die Stadt sind und nicht die Häuser. Weil es längst ums Begegnen und nicht mehr nur ums Besichtigen einer Stadt geht.
Wie ich mir auch sicher bin, dass wir über die Semantik im Tourismus noch weiter nachdenken müssen, ob der Begriff Führungen noch zeitgemäß ist? Was heißt denn das, die Leute zu führen? Wir wollen die Menschen begleiten, inspirieren, moderieren, die Gäste zu führen, passt für mich ganz und gar nicht in den Kontext. Das muss man einfach viel kritischer reflektieren.
Bedeutet Führen nicht auch Beeinflussung?
Nein, es bedingt die Einschätzung, dass die Gäste völlig unselbständig sind. Dabei sind die Menschen viel emanzipierter, selbstbewusster, informierter als man meint. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar, was Ingeborg Bachmann schrieb, passt abgewandelt gut auf den Tourismus: Die Wahrheit ist den Gästen zumutbar. Genau in dieser Thematik bewegen wir uns eigentlich.
„Linz ist Linz – eine Stadt authentisch in Wert zu setzen, wird uns sicher noch länger beschäftigen.“
Wen fokussiert man mit dem „Linz ist Linz“ Werbevideo, wer ist die vorrangige Zielgruppe?
Ich verwehre mich seit Jahren gegen den Begriff Zielgruppe, denn unsere Zielgruppe sind die Neugierigen, jene Menschen, die gierig auf Neues sind. Es geht um Human-centered design, daher müssen wir unseren Standpunkt im Marketing verändern. Wir dürfen Menschen nicht mehr als Targets, also als Zielgruppen betrachten, sondern sollten sie vielmehr als Partner verstehen. Die Logik der Zielgruppe macht nämlich gegenüber den realen Bedürfnissen der Menschen blind, beruht nicht auf Gegenseitigkeit und lässt daher keine Beziehung zu.
Gerade die Touristik hat ihre bereite Angebotspalette in Zielgruppen geclustert, eine Fehlinterpretation?
Ich haben mich die letzten Jahre mit dem narrativen Ansatz beschäftigt und vertrete die These, dass die Touristiker eigentlich Aufzähler sind. Wird man nämlich gefragt, was man dort oder da alles tun kann, wird vom Wirtshaus bis zur Führung die lange Liste aufgezählt. Die Frage aber, warum der Gast dort hingehen soll, was er davon hat, wird oft nicht beantwortet, damit beschäftigt man sich gar nicht. Erlebnisse sollen ja nicht nur eskapistische Dinge wie Rafting oder Bungee springen sein, sie sollen berühren, interessieren, authentisch und spannende sein, was eben häufig über Menschen passiert.
Warum fragt bei Kindern niemand nach Zielgruppen? Kinder kennen alle die gleichen Märchen, die sie auch verstehen, wie auch die gesamte Weltliteratur auf 20 bis 30 archetypischen Motiven basiert, die Menschen berühren. Dann auf einmal aber werden Menschen zu Zielgruppen und genau das ist mein Problem im Tourismus. Weil man damit eine Stadt, eine Destination auf einen Schokoriegel reduziert. Tourismus ist aber ein viel kompliziertes Gebilde und ich finde, dass die Wechselwirkung zwischen Bevölkerung und Gästen und dem, was den Besuch in einer Stadt betrifft, viel zu wenig erfasst wird.
Heißt, die Menschen, die Einheimischen, gehören mehr in touristische Konzepte eingebunden?
Was war denn ursprünglich die Idee und auch anfangs der Erfolg von airbnb? Nicht, dass man irgendwo billig nächtigen konnte, sondern, dass Menschen Menschen und mit ihnen ihre Stadt, deren Freunde, Lokale und Kultur kennenlernen wollten. Man hat überhaupt nicht realisiert, dass die Hotellerie und auch wir im Sinne des Concierge viel mehr Gastgeber hätten werden müssen – sozusagen Menschen die Destination über Begegnungen und Dinge, die weit über Programme hinausgehen, in die Stadt bringen.
Bei airbnb hat das, bevor man in die typische touristische Industrialisierung abgerutscht ist und nur noch die Hardware vermietet, teilweise funktioniert. Ich glaube, die Hotellerie muss lernen, die Hardware nur als Basis zu nutzen, dafür die Software im Sinne der Destination und des Gastgeberseins neu zu denken. Denn wir kommen gerade zurück zu den Ursprüngen des Tourisums und des Reisens.
„Städte und Destinationen können sich positionieren, indem sie sich wieder mehr auf ihre Ursprünglichkeit besinnen, indem Menschen wieder eine echte Rolle spielen und nicht zu Eincheck-Technokraten werden und Guides nicht nur Wikipedia auf zwei Beinen sind.“
Nur, wird man diese Chance erkennen und ergreifen? Oder ist man JETZT nicht viel zu sehr damit beschäftigt, alles wieder zurück in jene Zeiten des Überflusses, der Gigantomanie und des Overtourism zu bringen?
Sie haben völlig Recht, teilweise stellt sich bei einigen ob des Wiederaufbauerfolgs auch die Frage, was man also verändern sollte? Aber ich habe es, wie auch Graz, mit einer Stadt zu tun, die stark vom Geschäftsreiseverkehr geprägt ist. Wir müssen uns darauf einstellen, dass ein Drittel des Geschäftsreisetourismus nicht mehr wiederherzustellen ist. Wo also kompensieren? Ich glaube sehr wohl, dass im touristischen Bereich noch Luft nach oben ist. Es geht um Markterweiterung. Ich glaube weiterhin, dass gewisse industrialisierte, standardisierte, klischeehafte Produkte die Gäste bringen werden, es ist ja nicht so, dass das jetzt alles einfach weg ist.
Aber, Städte und Destinationen können sich positionieren, indem sie sich wieder mehr auf ihre Ursprünglichkeit besinnen, indem Menschen wieder eine echte Rolle spielen und nicht zu Eincheck-Technokraten werden und Guides nicht nur Wikipedia auf zwei Beinen sind. Ich glaube, jene, die stärker in ihre Mitarbeiter investieren, ihnen ein gänzlich neues Standig verleihen und Konzernhotels nicht damit beschäftigt sind, dass ihre Kunden die Kundenbindungskarte ausfüllen, anstatt ihnen die Destination näher zu bringen, werden die Erfolgreichen sein.
Wie will man nun als Linz Tourismus die positive Welle von „Linz ist Linz“ in mehr Buchungen umsetzen, welche Folge-Strategien und Pläne gibt es?
Unabhängig vom Filmprojekt haben wir daran gearbeitet, mehr Erlebnisse – also Produkte – zu produzieren. So wird der Tourismusdirektor, ich, ab September um sechs Euro buchbar sein, mit Gästen ins Café Traxlmayr Kaffee trinken gehen und über Linz und Gott und die Welt reden, die ersten Termine sind bereits ausgebucht. Das sind so symptomatische Dinge, wie man Begegnungen und Erlebnisse peppiger und organisierbar machen kann. Auch im Bereich Führungen wird es neue Entwicklungen geben.
Eben das standardmäßige Wikipedia auf zwei Beinen, die „airbnb“ Variante, bei der Einheimische zu Gastgebern werden und letztlich inszeniertere und multisensorischere Führungen. Hier ist der Guide Moderator, geht mit den Menschen in lokale Geschäfte mit kleinen Verkostungen, besucht aber auch Galerien oder setzt sich mit einem Künstler auf einen Cappuccino zusammen, bis zu kulturellen Interventionen mit einem Organisten, Gitarrenspieler usw. – passend zur jeweiligen Sehenswürdigkeit. Gruppen werden nach Corona tendenziell kleiner sein, was ein breites Spektrum an Möglichkeiten eröffnet.
Wie sieht die weitere Werbelinie des Linz Tourismus aus?
„Linz verändert“ ist nach wie vor unser Claim – wir wollen den Tourismus verändern und die Gäste dabei mitnehmen. Für mich hat Veränderung immer bedeutet, dass die Gäste, die nach Linz kommen, diese Veränderung auch mitbekommen sollen. Ob beim Essen, Museumsbesuch oder in der Natur, erweitere den Geschmack und gehe dorthin, wo Du noch nie warst. Der Neugierde den Boden bereiten und sich für Neues öffnen, bleibt weiterhin Programm. Ansonsten: Linz ist Linz – eine Stadt authentisch in Wert zu setzen, wird uns sicher noch länger beschäftigen.
„Ich glaube, die Hotellerie muss lernen, die Hardware nur als Basis zu nutzen, dafür die Software im Sinne der Destination und des Gastgeberseins neu zu denken. Denn wir kommen gerade zurück zu den Ursprüngen des Tourisums und des Reisens.“
Was macht für Sie gute Werbung aus, braucht es Provokation?
Provokation ist durchaus ein Mittel, um etwas zu erreichen. Wobei Kreativität besser geeignet ist, weil sie, um Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zu erzeugen, mehr Möglichkeiten umfasst. Es geht nicht um Provokation, es geht um Originalität, Kreativität, Authentizität, Augenzwinkern, „Linz ist Linz“ ist somit auch viel mehr im kreativen Bereich angesiedelt. Es müssen nicht alle Beifall klatschen, ich denke aber schon, dass wir einen großen Gedankenprozess angeregt haben. Denn im Tourismus ist der Mut ein Stückweit abhandengekommen. Es braucht nicht nur mutige Konzeptionierer und Agenturen, es braucht auch mutige Auftraggeber.
Tourismus ist in Wirklichkeit eine öffentliche Sache und ich habe Gott sei Dank die Konstruktion des österreichischen Tourismusgesetztes, dass der Tourismusverband eine eigenständige Körperschaft mit einem Aufsichtsrat ist, der nicht politikbesetzt ist. Denn wenn man solche Experimente macht, kann man eine Region natürlich auch ziemlich in Unruhe versetzen.
Warum ist Linz nicht perfekt?
Keine Stadt ist perfekt und das zu einem Faszinosum zu machen, glaube ich, geht in Linz leichter, weil die Erwartungshaltung der Gäste nicht so groß ist. Mein Zugang war immer, eine Stadt nicht touristisch hinzudesignen, sondern das Vorhandene faszinierend in Szene zu setzen. Das ist mein Zugang zum Tourismus und zum Städtetourismus. Hier ist Linz einfach ein hervorragendes Labor.
Wir waren in den letzten zehn Jahren nicht unerfolgreich, die erreichten Millionen Nächtigungen gehen auch nicht alleine nur auf meine Kappe, aber es spricht halt auch nicht gerade gegen unsere Konzepte. Wenn dann Touristiker-Kollegen, wie Eva Buzzi (Anm.: Geschäftsführerin ÖBB RailTours) sofort auf das Werbevideo reagieren und Linz in Packages einbindet oder der Direktor des neuen Motel One Linz, der anfangs auch ein wenig „gezuckt“ hat, jetzt voll überzeugt ist und bereits die ersten Buchungen durch das Werbevideo generiert, bestärkt das schon, dass wir mit unserer Strategie nicht so verkehrt liegen. Wir sind auch nicht nur viral und partisanenmäßig unterwegs, wir arbeiten ganz seriös. Wobei, das eine muss das andere nicht ausschließen (lacht)!
Danke für das Gespräch.