Die Nachricht über Übernahmegespräche zwischen der DER Touristik und der FTI Group beherrscht die Gespräche in der Branche. Wir stellen zusammen, was als gesichert gilt – und was noch unklar ist.
– Motiv für einen möglichen Zusammenschluss der Nummer zwei und der Nummer drei ist eine angestrebte
Konsolidierung des Pauschalreisemarktes. Anders als in Ländern wie Großbritannien, Skandinavien, Belgien oder den Niederlanden, in denen zwei bis drei Veranstalter (darunter immer TUI) den Markt dominieren, gibt es in Deutschland einen starken Wettbewerb mehrerer großer Veranstalter, zu denen auch Alltours, Schauinsland und mit einigem Abstand Vtours gehören.
Rewe-Chef Lionel Souque, der seit Jahresbeginn auch der Reisesparte der Handelsgruppe vorsteht, hat mehrfach angekündigt, dass er nach den
erfolgreichen Übernahmen etwa der europäischen Kuoni-Veranstalter oder von Reiseanbietern in Osteuropa sinnvolle Kaufgelegenheiten nutzen würde. Schauinsland und Alltours stehen in Privatbesitz, sind erfolgreich und haben keinerlei Verkaufsambitionen, Vtours gehört seit 2019 zur Schweizer Hotelplan Group.
– Ein Kauf ist nur möglich, wenn es einen Verkäufer gibt. An der FTI Group hält seit 2020 die Familie Sawiris 75,1 Prozent. In der Corona-Krise musste der ägyptische Investor Samih Sawiris, Hauptaktionär der Orascom Development Holding (ODH), eine Kapitalerhöhung tragen, damit der WSF Hilfen gewährt. Der 65-jährige Samih Sawiris hat jedoch seine
FTI-Anteile ebenso wie die ODH-Führung an seinen Sohn Naguib übertragen. Während Samih Sawiris sich FTI-Gründer Dietmar Gunz persönlich eng verbunden fühlte, ihn bei Krisen unterstützte und die Beteiligung als Chance sah, seine Resorts wie El Gouna besser zu vermarkten, tickt sein 31-jähriger Sohn nach übereinstimmenden Äußerungen anders.
Naguib Sawris hat ein Start-up in San Francisco aufgebaut (Nachhilfe für Schüler) und verfügt über eine Investoren- und Dealmaker-Denke, wie sie im Silicon Valley üblich ist. Ein Pauschalreisegeschäft mit Charterflügen und Reisebüro-Vertrieb blieb ihm lange fremd. Wie es heißt, prüfe er einen Ausstieg, wenn möglich mit Gewinn. Schon vor einigen Monaten gab es Gerüchte, er wolle
Anteile an Investoren verkaufen. Auch Samih Sawiris wollte eigentlich nur einen Minderheitsanteil an FTI halten. Er wollte nicht einen Veranstalter besitzen, sondern die Auslastung seiner Resorts fördern.
– Das "Handelsblatt" berichtet, die Rewe plane im Falle einer erfolgreichen Übernahme eine
Holding für beide Veranstalter. Nach Informationen von fvw|TravelTalk sollte hier ursprünglich der US-Finanzinvestor Certares als Minderheitsgesellschafter eingebunden werden, Rewe die Mehrheit halten. Diese Dreier-Konstruktion hätte der Rewe mittelfristig die Option gelassen, das Geschäft eventuell sogar ganz an einen Investor zu geben. Doch Certares ist schon vor längerer Zeit abgesprungen, ein neuer Finanzinvestor offenbar nicht in Sicht.
– Ein Knackpunkt sind die
WSF-Hilfen. Der Bund hatte die FTI Group mit Krediten und einer stillen Einlage im Gesamtvolumen von 603 Mio. Euro unterstützt. Die Stabilisierungshilfen sehen über die Laufzeit von sechs Jahren eine ansteigende Verzinsung vor. Ohne einen Schuldenschnitt wäre die Rewe Group offenbar nicht zu einer Übernahme bereit, da die finanziell grundsolide aufgestellte Handelsgruppe sich nicht Verbindlichkeiten aus einem Zukauf ans Bein binden möchte.
– Die FTI-Geschäftsführung hat am Donnerstag in einem Rundschreiben versucht, die Mitarbeitenden zu beruhigen und darauf verwiesen, dass es sich um
reine Spekulationen handele. Sollte die Geschichte in den Publikumsmedien oder in der Politik breiten Nachklang finden, dürfte dies FTI mitten in der nun beginnenden Hauptbuchungszeit schaden. "Wird Urlaub teurer?", fragt bereits "Bild" mit Blick auf die "Mega-Fusion".
–
Kartellrechtlich könnte eine Fusion durchgehen. Die Wettbewerbshüter schauen immer stark auf einzelne Teilmärkte oder Auswirkungen auf andere Geschäftspartner wie Vertrieb und Ferienflieger. Da der Wettbewerb aber intensiv ist und es mit TUI einen großen Marktführer gibt, dürften hier in Bonn nicht die Alarmglocken schrillen. Im D-A-CH-Markt waren DER Touristik und FTI zusammen nach den Zahlen des fvw|TravelTalk Dossiers Veranstalter 2021 mit 2,4 Mrd. Euro Umsatz nur fast gleichauf mit der TUI ohne TUI Cruises.
In anderen wichtigen Auslandsmärkten wie Großbritannien und FTI gibt es keine großen Überschneidungen.
Was wir nicht wissen:
– Das Bekanntwerden der Gespräche setzt die
Rewe Group und Naguib Sawiris unter Druck. Sawiris, der in dieser Sache offenbar von einem kleinen Beraterkreis unterstützt wird, kann sich ebenso wie die Rewe keine lange Hängepartie leisten, das schadet den Unternehmen. Unklar ist, ob die Beteiligten die Gespräche nun forcieren oder auf Eis legen.
– Ein
Schuldenschnitt wäre eine komplizierte Angelegenheit. Nicht nur Finanzinstitute, auch der WSF müsste mitziehen und der Verzicht auf Forderungen ginge somit zu Lasten des Steuerzahlers. Möglich wäre, dass auch andere vom WSF unterstützte Unternehmen wie die TUI einen Erlass fordern oder andere große Veranstalter wegen einer
Wettbewerbsverzerrung klagen. Auf jeden Fall würde eine Einbindung des WSF zu einer öffentlichen Debatte führen, die der Rewe Group, die sich stets um ein gutes und konstruktives Verhältnis zur Politik bemüht, nicht gefallen dürfte.
Der Verweis auf die Condor, der der Staat einen Kredit über 150 Mio. Euro erließ, zieht nach Meinung von Experten nicht. Eine Airline trage zur Wertschöpfung an Flughäfen und zur Verkehrsinfrastruktur bei. Die Pleite von Thomas Cook habe jedoch gezeigt, dass ein Veranstalter nicht systemrelevant sei und die Kunden und Mitarbeiter schnell zu anderen Anbietern wechselten. Unklar ist deshalb, ob auch Optionen ohne einen Schuldenschnitt geprüft werden.
– Bei der genossenschaftlichen Rewe Group spielt ein gutes Verhältnis zu den Betriebsräten eine wichtige Rolle. Wenn es in einzelnen Bereichen, darunter auch bei der DER Touristik, Personalabbau gab, wurde versucht, sehr sozialverträgliche Lösungen zu finden. Unklar ist, wie sich die
Arbeitnehmer-Vertretungen zu einer Fusion stellen würden, die sicherlich eine ganze Reihe von Arbeitsplätzen kosten würden, um Synergie-Effekte zu heben.
– Die Rewe hat die Touristik, obwohl sie weniger als zehn Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht, zu ihrem Kerngeschäft erklärt. Das ist auch Konsens im Aufsichtsrat und unter den wichtigen genossenschaftlichen Mitgliedern. Trotzdem wird immer wieder gemunkelt, dass nicht alle Genossen – zumeist selbstständige Lebensmittelhändler – von dem einst von Rewe-Patriarch Hans Reischl
eingefädelten Touristikengagement begeistert sind, zumal die Sparte in der Pandemie von der Gruppe massiv gestützt werden musste. Souque steht zwar unangefochten an der Spitze, sein Vertrag wurde gerade bis 2028 verlängert. Er müsste schlüssig, argumentieren, warum ein FTI-Deal eine günstige Gelegenheit für Wachstum bietet. Unklar ist jedoch, ob er eine Fusion auch gegen etwaige interne Widerstände durchboxen oder stattdessen lieber an anderer Stelle investieren würde.
Ob die Übernahme tatsächlich zu Stande kommt und welche konkreten Vorteile sie bringt, ist ungewiss. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob der mögliche Käufer und der mögliche Verkäufer nach dem vorzeitigen Bekanntwerden der Pläne noch motiviert ans Werk schreiten.
Dieser Text erschien zuerst auf www.fvw.de.