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Koks und Midlife-Crisis

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Thomas Schweighofer: "Kinder haben Sorgen, die ihnen fremd sein sollten. Jugendliche überdenken ihre Karrierepläne, weil sie mit Arbeit den Wohlstand ihrer Eltern nicht mehr erreichen können."
Thomas Schweighofer: "Kinder haben Sorgen, die ihnen fremd sein sollten. Jugendliche überdenken ihre Karrierepläne, weil sie mit Arbeit den Wohlstand ihrer Eltern nicht mehr erreichen können."

Der Preis ist heiß: Bald kostet der Kilo Weizen so viel wie die gleiche Menge in Drogen. Der Weber-Grill heizt das Wohnzimmer. Dafür inflationieren wir uns die Schulden weg. Können wir uns das Leben überhaupt noch leisten?

Der Postillion ist das deutsche Pendant zu unserer Tagespresse. Ein Satireblatt mit beißendem Humor. Der Krieg in der Ukraine und die Ausläufer der Krisenjahre lassen die Getreidepreise dramatisch steigen, eine der jüngsten Schlagzeilen lautete daher: „Wegen steigender Getreidepreise: Hersteller strecken Mehl mit Koks“. Ein angeblicher Experte wird zitiert: „Unseriöse Hersteller mischen jetzt leider immer öfter billiges Kokain in ihr hochwertiges Mehl, um wettbewerbsfähig zu bleiben“. Für Laien sei der Unterschied optisch kaum zu erkennen. Das Ergebnis sind aber weniger fluffige Muffins, Brot zerbröselt beim Schneiden und Palatschinken bleiben in der Pfanne picken. Satire darf das, sie übertreibt, treibt auf die Spitze, hat aber immer Wahrheiten in ihrem Kern. Sonst ist es nur eine öde Witzelei. 

Das Jahrtausend meint es böse mit uns, Kriege, Pandemien und Wirtschaftskrisen reichen sich fröhlich die Hände und drehen sich im Kreis. Der mittlerweile ignorierten Pandemie – wir erleben gerade eine bewusst so gewollte Durchseuchung der Bevölkerung, denn die Impfung schützt schlecht vor der Ansteckung, aber wohl vor schweren Verläufen – folgt die unnötige Gewalt mit all ihren Auswirkungen. Zuoberst das menschliche Leid, dass einmal mehr aus dem Ego der sich Selbstüberschätzenden wächst. Es ist wie gewohnt die Gewalt von Männern gegen alle, aber vor allem eine der Reichen gegen Ärmere. Der Krieg der Klassen ist nicht einer Ost gegen West, des verstaubten Kommunismus gegen wankenden Kapitalismus – er ist und war immer schon einer der mit den dicken Konten gegen jene, die sich die Verteidigung des persönlichen Friedens und der Freiheit nicht so einfach leisten können.  

Relativ gleichmäßig – von gerecht ist keine Rede – verteilter Wohlstand ist das Fundament des Friedens. Der Beton bröckelt, das Gebäude des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist bedroht. Während das tägliche Leben immer teurer wird und wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen, weil die eine Seite mit einem Benzinpreis von (über) 2 Euro hadert und die andere meint, im Sinne des Umweltschutzes wären eigentlich 4 Euro wohl recht, saust und braust die Elite mit vollen Bäuchen. Wie abgehoben die alle miteinander sind, beweist ein Tweet von Tesla-Chef Elon Musk, perverse mehrere hundert Milliarden Dollar schwer, der Vladimir Putin zum Zweikampf um die Ukraine herausfordert. Wobei, nackte Fäuste statt stählerner Raketen – es wäre ein guter Tausch.

Wir Normalsterblichen haben ganz andere Kämpfe zu schlagen. Seit der Strommarktliberalisierung vor zwanzig Jahren haben sich Steuern und Abgaben auf Strom verdreifacht. Wer sich zum Beispiel in Tirol ein Häuschen leisten will, musste in den letzten fünf Jahren Preissprünge von bis zu 50 Prozent beobachten. Gegenüber März 2021 liegt der Gaspreisindex um 455,5 Prozent höher. In den Ländern der EU wurden letzten Dezember wegen des Chipmangels 23 Prozent weniger Autos zugelassen, gleichzeitig schießen die Gebrauchtwagenpreise in die Höhe. Dazu kommt in Österreich das ökosozial gemaschelte Steuerreförmchen als nicht ganz treffsicheres Mittel, um das System auf Grün zu polen. Die CO2-Bepreisung wird trotz Ausgleichszahlungen jeder von uns spüren. Ja, Umweltschutz darf etwas kosten und muss uns etwas Wert sein, denn tun wir nichts, zahlen wir langfristig drauf. 

Doch gerade im Angesicht immens steigender Lebenserhaltungskosten und Kosten vor allem für Dienstleistungsbetriebe – laut Befragung der Hoteliervereinigung waren alleine die Energiekosten im vierten Quartal 2021 um 64 Prozent höher als im Vergleichszeitraum 2020 und stiegen seither weiter stark – braucht es eine Balance. Kippt das System, interessiert den Umweltschutz keinen mehr, dann geht es ums reine Überleben. Übrigens: Zu den größten Klimasündern gehört das Militär, alleine die US-amerikanischen Streitkräfte blasen jährlich mehr CO2 in die Luft als 150 einzelne Länder der Welt!

Das Leben war schon einmal leichter und schon einmal schwieriger. Jedenfalls schlagen die letzten Jahre aufs Gemüt. Kinder haben Sorgen, die ihnen fremd sein sollten. Jugendliche überdenken ihre Karrierepläne, weil sie mit Arbeit den Wohlstand ihrer Eltern nicht mehr erreichen können. Männer mittleren Alters – tja, die dürfen wie gewohnt ihre Midlife-Crisis hegen. Zumindest scheint es so, wenn ich meinen Freundeskreis beobachte. Der eine kauft sich einen (20 Jahre alten) Porsche, um der Zeit davonzufahren. Der andere plant mehrere Ultramarathon-Bergläufe, die ihm seine körperliche Knackigkeit vergegenwärtigen. Der Dritte im Bunde hat neuerdings eine 30-jährige Freundin aus Südamerika, die ihm ganz klischeehaft Feuer unterm Hintern macht. Ich sinniere gerade über den Sinn des Lebens. „42“: So lautet in Douglas Adams' Kultroman „Per Anhalter durch die Galaxis“ die Antwort eines allwissenden Supercomputers auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Die für mich richtige Antwort fehlt mir noch. Vielleicht backe ich zur Entspannung erstmals ein resches Brot, da liegen zuhause noch ein paar Packungen Mehl herum. Griffig, nicht gestreckt. 

t.schweighofer@manstein.at




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